Sonntag, 30. Mai 2010

Brother, where are you

Brother, where are you


Eine kriminologische Tragödie in 8 Szenen.



Von


Klaus Peter Buchheit







Personen:


Abel

Kain

Lucia

Geist Adams

Lilith als Sister Judge


Chor in diversen Rollen






Bühne, Personen sind in Grautönen gehalten, wie das Bild eines Schwarzweißfernsehers. Die Szenen sind untermalt von spannungserzeugender Krimimusik.



Motto: Frage: Why does the chicken cross the road?

Antwort: To die. In the rain.

1. Szene

Kain u. Abel sitzen in einem feuchten Keller auf einem wackligen Tisch. Sie lassen die Beine baumeln u. schlecken mit den Fingern Marmeladengläser leer. Vor dem vergitterten Fenster blinkt ein Blaulicht in Zeitlupe, etwa wie das Signal eines Leuchtturms.


K:

Die Absperrung wird morsch.

Das Zurechtdenken des Lebens erzeugt die Unordnung,

nichts mehr zu finden.

Etwas will durchbrechen.


Humptydumpty hüpft über die Bühne und trällert mehrmals:


Ich bin’s nicht.


A:

Die Form ist das Problem. Ich lege Geraden in den Raum.

Oder biege regelgerechte Kreise aus der Geburt zurecht.

Geld hat keine Macht.

Quellendes hat keine Macht.

Als sie den Schritt von der Tür zurück machte,

als ihr der Onkel nachstellte,

hätte sie nur die Augen verschließen müssen,

sich einen dieser Kreise nehmen,

sich auf eine dieser Geraden stellen müssen.

Sie wäre mittels des Kreises auf der Geraden in etwas gerollt,

das man als Zukunft oder als Sinn hätte definieren können.

Oder zumindest als Sauberkeit.

So wäre es nicht nötig gewesen, Putzmittel zu essen

oder Bürsten einzuführen.


Rumpelstilzchen wird kopfunter von der Decke herab gelassen. Er hält ein Megaphon vor seinen Mund u. ruft laut u. deutlich:


Rumpelstilz.

Das Märchen lügt.

Ich will, dass ihr meinen Namen vernehmt.

Rum-pel-stilz.

Wer mir den Diminutiv anhängte, gehört erschlagen.

Angst ist mir fremd.

(In Panik schaut er um sich, bäumt sich hoch, kriegt das Seil nach mehreren missglückten Versuchen zu fassen u. zieht sich hektisch hoch).


Eine Polizeisirene sirrt.

Dann ganz kurz ein Heavy-Metal-Riff.

Dann Stille


K:

Etwas will nicht fort bleiben,

dort bleiben,

wo der Pfeffer wächst;

will nicht scharf bleiben

als Geheimnisvolles.

Etwas will im Raum stehen.

Etwas will Raum nehmen.

Etwas will mich,

wie’s scheint,

verdrängen.

Ich denke u. denke.

Ich verbrenne Theorie.

Ich irre in Satzbauten umher u. kratze die Finger an ihren Wänden blutig.

Ich fange unter Kopfschmerz an zu lallen.


Micky Maus mit Pfeife u. Sherlock Holmes Mütze tritt auf:

Logisch.

Völlig logisch.

Eins kommt zum anderen.

Das Böse ist so logisch wie das Gute.

Logisch.

Das Böse ist die Spur, die das Gute hinterlässt, um zu ihm zu finden.

Logisch.

Ich halte meine Ohren auf.

Ich klemme mir Lupen unter die Lider.

Ich pfeife ein Mäuselied u. komme unweigerlich am Ziel an.

Logisch.

(zieht eine Line Koks hoch.)

Soll ich etwa Spinat fressen?

Micky Maus ab.


A:

Ich berechnete, dass es nur uns gibt.

Uns gibt als Parameter.

Einsetzbar.

Einsatzbereit.

Sauber u. passend.

An unserer Existenz hängt keine Sinnlosigkeit.

Auch wenn sie nicht wussten, was sie taten.

Auch wenn sie nicht das Licht angeschaltet hatten.

Auch wenn die Schläge die Formeln durcheinander brachten.

Weißt du,

das war nur ein Spiel.

Ein Schwierigkeitsgrad.

Eine Prüfung.

Ich hab sie bestanden.

Einskommazwei.

Jetzt rutsche ich auf meiner Geraden direkt durch den Kreis.

Sauber wie der Sprung eines Löwen im Zirkus durch den brennenden Reifen.

Und das Orchester macht:

Tusch.


Der Räuber Hotzenplotz mit Bierflasche in der einen Hand u. dem kleinen Muck als Strichjungen an der anderen Hand treten auf.


Muck:

AuAuAu


Hotzenplotz:

Still. Ich rieche eine Leiche.

Unter den Kartoffeln.

Zwischen den Kohlen.

In der Glut des Ofens.

Hinter dem Gemäuer.

Überall Leichen.

Sie hängen von der Decke.


Muck:

AuAuAu.


Hotzenplotz:

Nackte Leiber. Tot u. aufgeschlitzt.

Kalt u. weiß wie Alabaster.

Elfenbeinern.

Unrosig.

Du bist das letzte lebende Wesen.


Muck:

AuAuAu.


Hotzenplotz:

Soll ich Leichen schänden.

Ich nehme dich mit in meinen Turm. Wir müssen hier verschwinden.

Überall Gliedmaßen.

Mit Lügen gefüllte Därme in Dosen.

Verrenkte Gehirne in Aspik.

Geleckte Schwarten der Lebensuntüchtigkeit.

Komm weg von hier.


Muck:

AuAuAu.


Hotzenplotz u. Muck trollen sich.


K:

Überall

ringsrum

drunter u. drüber

werden Indizien zu Beweisen.

Ich glaube mich fast schon überführt.

Doch ich war’s nicht, weil ich’s bin.

Überall

ringsrum

drunter u. drüber

werden Wahne zu Wahrsprechern

werden Gespenster zu Inspektoren

meiner Hinterstirnwelt

meiner Hinterstirnweltmeisterschaften.

Man behauptete,

ich hätte Eisen gefressen,

wäre einer Eisenfresssucht verfallen.

Hätte beim Küssen seine Mädel vergiftet,

den Leib seiner Liebsten genagelt,

u. dann ihn, den Bruder, mit einer Schnalle erschlagen.

Das Böse zöge mich an wie der Magnet das Eisen.

Ich habe nie Eisen gefressen.

Das Herz war’s, das in Küssen schlug.

In meinen Hinterstirnweltmeisterschaften überhäufen sie mich dafür mit

Goldmedaillen der Entschuldung,

mit Ehrentitel der Schamlosigkeit.

Verstecke ich mich zwischen den Kartoffeln, ist da kein Platz mehr für eine Leiche.

Ihre Keime bedecken meine Scham. Ihr Gewicht zermalmt meine Schuld.

Fressen die Tiere die Knollen weg u. schlecken ihre Zungen mich sauber, sehen sie,

ich lebe.


Heidi, silikontittig im dekolletierten, geschlitzten Oskarverleihkleid, defiliert über einen imaginären roten Teppich:

Hab, ach, den Großpapa erstickt.

Hab, ach, den Opapa vom Felsen geschmissen.

Hab, ach, das Peterle mit dem Ziegenhorn aufgespießt

direkt in den Arsch hinein

direkt in den Arsch hinein

Hab, ach, eine Unschuld gestrickt.

Hab, ach, die Blutsbanden abgerissen

Hab, ach, mir die Liebe in den Leib gebüßt

direkt durch den Arsch hinein

direkt durch den Arsch hinein.


Heidi stöckelt davon.


A:

Moral ist eine gute Binde für Seelenblutungen.

Ich bete Axiome.

So heißt’s, ich lebe nicht.

Und werde Sinn,

dessen Limes gegen unendlich geht.

Zwei Kreise u. eine Gerade.

Gerad’ so schön, wie wenn’s ein Leben wär.


A u. K schrauben die Marmeladengläser zu, schauen sich noch einmal um, schalten das Blaulicht aus u. schleichen sich von der Bühne.


Alice irrt im Nachthemd über die Bühne:


Alles ist Wunderland.

Alles ist Alice.

Wunderland ist alles.

Alice ist alles.


Alice kichert, greift sich ein paar Kartoffeln u. legt sie ins gereffte Nachthemd. Ab.


Licht aus.

2. Szene

Auf der Bühne eine verkrüppelte Eiche, deren Äste über die ganze Bühne kraken. In den Ästen hängen wie Wunschzettel an einem Wunschzettelbaum als Chor folgende Figuren: Emma Bovari; Effi Briest; Paulchen Panther; James Bond; die beiden Königskinder, von denen es im Lied heißt, dass sie nicht zueinander kommen konnten; Romeo u. Julia; Biene Maja u. Willi; Popey u. Olivia. Immer wenn einer der Gehenkten spricht, dreht sich der Baum wie ein Karussell, wobei Karussellmusik eingespielt wird.

Alles ist weiterhin in Schwarzweiß, nur die Requisiten der Gehenkten sind bunt.


Abel sitzt im Baum u. zählt leise Blätter. Kain steht am Baumstamm u. flämmt mit einem Feuerzeug Ameisen vom Baumstamm ab.


K:

Ich war so gut wie die anderen,

aber ich kann besser werden als sie.

Weil ich nicht aufhören kann,

weil ich weitermachen muss, bis die letzte Sicherung rausfliegt.


Emma Bovari mit einem knallroten, leuchtenden Herzen in der Hand, zu dem sie spricht:

Warum hattest du immer Hunger?

Immerzu Hunger?

Immerzu Appetit?


Sie schüttelt das Herz wie einen Cocktailbecher. Der Baum geht in die zweite Runde:

Warum hattest du immer Hunger?

Immerzu Hunger?

Immerzu Appetit?


A:

Diese Tätigkeit ist sinnvoll.

Ich kann herausfinden, ob ein Blatt fehlt, oder ob der Baum vollständig ist.

Fehlt ein Blatt, lässt sich schnell ein neues beschaffen u. anbinden.

Ist der Baum vollständig, heiße ich ihn ein Wunder der Natur,

ein Zeichen Gottes,

ein Beweis der Liebe.

Einer klaren u. deutlichen Liebe,

einer Liebe, die beständig ist,

die geklärt ist. Sie hat somit Sinn.

Sie schließt mich mit ein, gerade dadurch, dass ihr nichts fehlt,

ich ihr nicht fehle.

Was geschah, ist dann nicht mehr geschehen.


Effi Briest mit einem Fisch in der Hand, zu dem sie spricht:

Was musstest du mich ängstigen und faszinieren zugleich?

Was hast du mich fasziniert und geängstigt zugleich?


Sie schüttelt den Fisch wie einen Salzstreuer, dessen Löcher verstopft sind.

Der Baum dreht sich eine zweite Runde.


Was hast du mich fasziniert und geängstigt zugleich?

Was musstest du mich ängstigen und faszinieren zugleich?


A:

Ich bin kein Objekt mehr, das sie unter die Lupe nehmen müssen.

Ihre Blicke erschienen mir wie ein Obduzieren.

Was wollen sie in mir finden?

Sie sollten vielmehr schauen, dass die Blätter am Baum vollzählig sind.

Sind es zu viele, lässt sich leicht ein Ast absägen.

Ich sägte einst, auf Vaters Schultern sitzend, einen überzähligen Ast.

Er fiel ihm vor die Füße, kurz bevor Mutter zum Essen rief.


K, weiterhin Ameisen abflämmend:

In diesem Moment,

in diesem Moment der Sicherung,

die rausfliegt,

werde ich besser sein als alle anderen.

Darauf läuft es hinauf.

Ich werde es noch mitkriegen,

sicherlich,

aber keine Erinnerung mehr daran haben,

keine fucking Erinnerung mehr.

Erinnerung verurteilt dich nur

u. richtet

u. sagt,

das war es wieder nicht,

das ist es wieder nicht gewesen.


A:

Hast du was gesagt.


K:

Kümmer dich um deinen Kram. Angeber.


A, lachend:

Lern klettern.


K, zum Publikum:

Ich bin ja nur eine Hobbyausgeburt.


Paulchen Panther, eine Sanduhr in der Hand, zu der er spricht:

Wer hat an der Uhr gedreht?


Schüttelt die Sanduhr wie eins dieser Gläser, in denen es schneit, schüttelt man sie. Der Baum geht in die zweite Runde.


Wer hat an der Uhr gedreht?


K:

Eine Hobbyausgeburt.

Man muss ja was nebenher haben.

Und so.

Wir sind ja alle Künstler.

Und so.

So ein verfickter Scheiß.


Abel klettert vom Baum. Kain klettert hinauf. Abel lehnt mit dem Rücken an dem Baum. Kain sitzt im Schneidersitz auf einer Astgabel. Die Gehenkten tuscheln kurz.


A:

Theoretisch lässt sich alles lernen.

Man kauft sich ein Buch, liest, macht nach u. basta.

Man kann also auch kochen lernen.

Man kann es also auch selbst tun.

Sie müsste sich nicht tagtäglich abrackern.

Ich kann das nicht sehen.

Wie sie da steht u. schwitzt u. buckliger wird.

Das tut mir weh.

Da werde ich krank von.

Das ist nicht richtig.

Das ist falsch.

Sage ich, du musst das nicht tun,

wird sie böse.

Ich könnte sie dann erschlagen.

Ich könnte sie dann schütteln wie eine ungehorsame Puppe,

die nicht sitzen bleiben will,

die sich in die Hosen gemacht hat.

Scheißpuppen. Hätte sie mir nichts anderes zum Spielen geben können.

Was kümmert’s mich, dass das Teil mal ihr gehörte.


K:

Ich aß gern, was sie kochte.


A:

Fett wurdest nur davon.


K:

Ich ertrug nur ihre Nähe nicht.

Sie hätte sich nicht daneben stellen müssen u. zusehen,

ob ich mein Tellerchen auch leer esse.

U. mir dann mit der Hand durchs Haar fahren.

Als wäre ich ein Kind.

Ich war nie Kind.

Wie hätte man bei ihr Kind sein können.

Sie trägt die Schuld für alles, was geschah.


A:

Es gibt keine Schuld.

Es gibt nur richtig oder falsch.

U. ich war richtig

(lacht)

Sie war meistens falsch.

Aber sie hörte nicht, wenn ich es ihr bewies.

Ich könne nichts annehmen.


K:

Kannst du auch nicht.

Nicht mal, was ich dir antat, konntest du annehmen.


A:

Sei still.

Das hab ich vergessen.

Daran will ich mich nicht erinnern müssen.

Denn es war falsch, was du tatest.

Einfach nur falsch.

Das ist alles.

Gerede bringt nichts.

Ordnung machen, richtige Ordnung.

Symmetrie herstellen.

Gleichheit.


K:

Brüderlichkeit.

(lacht)


A:

Ich bin so frei.

(Rotzt hoch in den Baum. Trifft K aber nicht)


K:

Daneben.

(Wirft eine Eichel u. trifft A ins Auge)


A, so tuend, als sei er nicht getroffen worden:

Also ich habe sie nicht gebraucht.


K:

Warum hast du dann im Traum von ihr gesprochen?

Jede Nacht, wenn ich nicht schlafen konnte, hörte ich dich

Mama

murmelnsagenrufenschreienbrüllen


A:

Du lügst. Du bist nicht richtig.

Du bist falsch.

(weint)

Ich weine nicht.

Mir ist nur was ins Auge gekommen.


James Bond, ein leeres Glas in den Händen, zu dem er spricht:

001, 002, 003, 004, 005, 006

bin ne alte Hex’


Er schüttelt das Glas, als solle es doch noch einen Tropfen hergeben.

Der Baum geht in die zweite Runde.


bin ne alte Hex’

001, 002, 003, 004, 005, 006


Kain springt vom Baum, umgehend klettert A, als falle ihn ein Löwe an, in den Baum u. legt sich bäuchlings auf einen Ast.


A:

Er redete nicht mehr mit mir.


K:

Und?

Es gibt schlimmeres.

Oder?

Zum Beispiel:

Er würde mit dir reden.

Mit mir redete er.

Als hätte ich das nötig.

Als hätte ich ihn nötig.


A:

Der kann doch nur schreien.

Das ist doch alles ganz falsch,

komplett u. absolut falsch.

Dieses Schweigen.

Dieses Brüllen.

Diese Inkonsequenz.



K:

Du hattest ihn nötiger als ich.

Du hattest ihn nötig.

Immer hast du nach ihm geschielt.

immerzu wolltest du ihm beweisen,

wie gescheit du bist,

u. wie sehr er sich verrechnet habe.

Sagtest,

da kannst du mehr sparen,

wenn du’s machst, wie ich es dir sage.

Du u. deine Pläne.

Der Alte schiss drauf.

Schiss auf deine Pläne.


A:

Auf deine Lügen schiss er wohl nicht.

Jeder weiß doch, dass du lügst, machst du nur das Maul auf.

Selbst dass ich hier bin, ist noch deine Lüge.

Selbst dass du hier bist, ist noch deine Lüge.

Aber es wird sich alles klären.

Sie werden alles aufklären.

U. dann wirst du hängen wie die da.


Kurzes Gemurmel im Baum, der kurz ruckt, dann aber doch keine Runde macht.


Ich habe errechnet, dass er überflüssig ist.

U. nur wenn die Zahl die rechte ist,

keins zuviel

keins zuwenig

kann es Liebe geben.


K:

Was weißt du von Liebe.

Beim Ficken errechnest du den Neigungswinkel deiner Erektion u. gibst

der Lady entsprechende Anweisungen.


A:

Jedenfalls blieb die Lady bei mir.

Deine rennen immer weg.

Will gar nicht wissen, was du machst.


K:

Fick dich.


A:

Dein Schwanz ist doch vom Wichsen ganz weidwund.

(Hält sich den Mund zu).


K:

Ooops


A:

Ich hab nichts gesagt. Ich hab nichts gesehen.

Ich bin gar nicht hier.

Ich bin, äh, sie sind, äh, er ist, äh, sie ist, äh, du bist, äh, ich bin

äh, ist gleich,

ist gleich,

gleich,

u. schon

quod erat demonstrandum


K:

Hä?


A:

Du bist eh zu dumm


K will antworten, aber der Baum setzt sich in Bewegung.


Die Königskinder, die Rücken an Rücken an einem Strang hängen. Beide halten eine Wasserpistolen in der Hand u. versuchen über die Schulter den anderen nass zu spritzen. Beide zugleich:

Nur weil du nicht gescheit schwimmen konntest!

Vor Sehnsucht so schwer wie ein Sack Eisen.


Beide schütteln die Pistolen, wie man einen Leuchtstab schüttelt, damit er leuchtet. Der Baum geht in die zweite Runde:


Vor Sehnsucht so schwer wie ein Sack Eisen.

Nur weil du nicht gescheit schwimmen konntest!


Kain klettert in den Baum. Beide sitzen im Baum.


K:

In mir stieg eine Verliebtheit oder Liebe auf,

die ich abwehrte

in vollem Rüstungszwang.

In mir spukte ein Namen

u. die Gespenster waren wieder im Anflug

u. eine Unbehaustheit.

Die Frau wäre mir, so sagte man,

ebenbürtig gewesen.

Ebenbürtiges hat mich noch je platt gemacht,

platter

als ich es selber je gekonnt hätte.

Dem wollte ich zuvor kommen.

Ich machte mich platt,

um aufrecht bleiben zu können.

Verstehst du.

Wenigstens das müsstest du können.

Wenn ich dich doch schon zum Ebenbürtigen erhoben hab.

Oder ward ihr das?


A:

Hast du mir deshalb angetan,

was du mir im Keller angetan hast?


K:

Was hab ich denn getan?


A:

Sprechen wir nicht davon.

Sie werden es eh rauskriegen.


K:

Und entschuldigen.

Bei meiner Geschichte.

Vorgeschichte.

Sie werden sehen, dass ich nicht anders konnte.


A:

Du u. die Weiber.

Du u. die Sucht.

Die Zigaretten.


K:

Hast du eine.


A:

Hier.


K:

Wusst ich’s doch.

Noch die zum alten Preis.

(Lacht)


A:

Halt doch ...


K:

JaJa.

Du u. dein ewiges Lernen.

Du u. deine ewige Moral.

Du u. dein Gegrübel.

Aber auf jeden Krimi abfahren,

Hauptsache das Weib blond u. kühl,

der Gute wie der Böse kalt u. berechnend.


A:

Das Richtige siegt.


K:

Nie.


A:

Doch.


K:

Nein.

Was weißt du schon vom Leben.


A:

Das was du weißt, will ich gar nicht wissen.

Immer nur gesoffen.

U. dann

dann

dann

mit

meiner


K:

Was?


A:

Wills gar nicht mehr wissen.


K:

U. du? Warst du besser.


A:

Hättest du mich nicht lieben können?


K:

Ich hab dich geliebt.

Zu viel.

Wie die Ameisen, die nicht wollten, dass ich mit ihnen ziehe.


A:

Du kommst doch aus deinem Zimmer nicht heraus.

U. wenn, klebtest an mir wie eine Klette.

U. stahlst meine Freunde.


K:

Die wollten dich nicht.

Eigentlich waren sie es, die ...


A:

Sei still.


K:

Rechnest du schon wieder. Kannst du nicht damit aufhören.


A:

U. du bist betrunken.

U. stiehlst meine Zigaretten.

Wie du Mutter bestohlen hast.


K:

Nie habe ich gestohlen.

Ich habe genommen, was mir zustand.


A:

Sie werden alles rauskriegen.


K:

Ich hab deiner Frau zwischen die Beine gefasst. U. sie wurde ganz feucht.


A:

Stör mich nicht.

Ich bin der Lösung nah.

Unmoralisches Schwein.

Ich weiß, was du des Nachts unter der Decke getrieben hast.

Du bist nichts als ein Angsthase.


K:

U. du bist der, der mir Angst macht.

Gib mir noch eine Zigarette.


A:

Du nimmst es selbst von den Toten.

Elendiger Schweinedieb.

(lacht)


Der Baum setzt sich in Bewegung. Romeo u. Julia, Brust an Brust an einem Seil hängend, halten beide ein Bild ihrer Eltern in der Hand, zu dem sie simultan sprechen:


Meinst du, hier wären wir vor dem Vater sicher?

Glaubst du, hier sähe er uns nicht?


Sie schütteln die Bilder, wie man eine Geldbörse schüttelt, damit noch ein Notgroschen heraus falle. Der Baum geht in die zweite Runde:


Glaubst du, der Vater sähe uns nicht?

Meinst du, hier wären wir vor ihm sicher?


A u. K springen vom Baum u. setzen sich unter den Baum, mit dem Rücken an den Stamm gelehnt.


K:

Rauchen heißt das vernichten, was man braucht.

Was man braucht, vernichtet man.


A:

Du machst dich nur selbst kaputt.


K:

Super.

Dann bin ich ja schuldlos.


A:

So hab ich es nicht gemeint.

Du wirst deiner gerechten Schuld schon zugeführt.


Beide schweigen.


A:

Mathematik ist die Kunst, Probleme aufzulösen.

Sie werden vernichtet.

Vernichten ist also Problemlösen.


K:

Dann habe ich dich also gelöst.


A:

Ich war nicht die Aufgabe.


K:

Deshalb rauche ich.

(Leise)

Machst du dir Sorgen um mich.


A:

Um dich muss man sich Sorgen machen.

Sorgenkind.


K:

Arsch.

Ich könnt dich, hätte ich nicht schon.


A:

Schweig.

Sonst hört es noch jemand. U. ich will nicht,

dass man so von mir denkt.

Ich führe ein glückliches Leben.

Gott sei’s gedankt.


K:

Aber über mich hält er seine Hand.


A:

Die dich schlug.


K:

Halt’s Maul.

Nie hat mich wer geschlagen.

Nie.

Hörst du.

Ich bin ein Glückskind.


A:

Was für ein Glück.

Ich hab das Problem, das du bist, schon lange gelöst.


K:

Jetzt verdreh hier mal nicht die Tatsachen.

Dass du ein Schwächling bist, weiß nun jeder.


A:

Schweig still.

Störe meine ...


K:

Fang bloß nicht so an.


Beide lachen.


A:

Willst du noch eine Zigarette?


K:

Gib schon her.

Redet der Alte wieder mit dir?


A:

Leider.


Beide lachen.


A:

Lass mich auch mal ziehen.


K:

Damit wäre das Problem auch gelöst.


Beide lachen.


Der Baum setzt sich in Bewegung. Biene Maja, mit den Füßen nach unten hängend, hält einen Dildo in der Hand, mit dem sie spricht. Willi, mit dem Kopf nach unten am gleichen Seil hängend, hält eine Schnapsflasche in der Hand, mit der er spricht. Beide:


U. außerdem warst du nie eine flotte Biene!

Bist ein ganz einfältiges Huhn!


Sie schütteln Dildo u. Schnapsflasche, wie man einen Wecker schüttelt, damit er endlich aufhöre zu klingeln. Der Baum geht in die zweite Runde:


U. außerdem bist du ein ganz einfältiges Huhn!

Warst nie eine flotte Biene!


A u. K stehen auf, jeder nimmt aus der Hosentasche ein Messer. A ritzt währen des folgenden ein Herzchen in den Baum u. schreibt ein K hinein. K ritzt ebenfalls ein Herzchen u. schreibt ein A hinein.


K:

Ich ...


A:

Nichts sagen.

Ich weiß doch, dass ...


K:

Halt’s Maul. Sonst.


A gibt ihm einen Kuss:

Du tatest recht.

Endlich bin ich mal was.


K:

Was?


A:

Du weißt ...


K:

Ach so, halt bloß dein Maul.

Wenn sie das mitkriegt, kriegt sie wieder einen Anfall.


A:

Ich weiß.

Dann stirbt sie wieder.


Beide lachen.


K:
U. will sich trotzdem umbringen.


A:

Wie unlogisch.

Wo sie doch, wie sie sagt, eh ...

Das reimt sich nicht.


K:

Da reimt sich nix.


Beide lachen.


K gibt A einen Kuss.


A:

Damit ist’s aber genug.

Jetzt stimmt die Symmetrie.


K:

Ach du.


A:

Jetzt lass dich bloß nicht gehen.


K:

Das ist doch meine Aufgabe.


A:

Und ich löse sie.


Beide lachen.


K:

Du.


A:

Ja.


K:

Du verstehst schon.

Ich musste.


A:

Schon gut.

Du hast mir nur eine Aufgabe abgenommen.


K:

Hab ich gelöst, nicht wahr?


Beide lachen.


A:

U. durch mich wurdest

äh

ausgezeichnet


Beide lachen


A/K:

Die können uns mal.


A/K:

Wir sind klüger als die.

Wir sind klüger als sie alle.


K:

Psst


A:

Psst


K:

Was?


A:

Nix.

U. du?


K:

Nix.


A:

Jetzt ist’s aber genug.


K:

Jetzt langt’s.


Beide lachen. Sie umarmen sich. Dann beginnen sie, sich zu knuffen, dann zu raufen. Schließlich schlägt jeder den anderen zu Boden.


A:

Du änderst dich nie.


K:

Du auch nicht.


Beide stehen auf u. zerritzen ihre Herzchen zur Unkenntlichkeit.


K:

Ich brauch dich nicht.


A:

U. ich dich erst recht nicht.

Blöde Sau.


K:

Arschloch.


A:

Was Besseres fällt dir nicht ein?


K schweigt.


Der Baum setzt sich in Bewegung. Popey hält ein Heft „Schrot & Korn“ in den Händen, mit dem er spricht. Olivia blättert im „Wachturm“. Popey:


Ich hasse Dosenfraß.

Du bringst mich noch um.


Der Baum geht in die zweite Runde. Popey u. Olivia schütteln die Hefte, wie man aus einem Halstuch ekelhafte Insekten ausschüttelt, die versehentlich hineingeraten sind, während man es trug.


Du bringst mich noch um.

Ich hasse Dosenfraß.


A u. K nehmen Klöppel aus Schaumstoff und schlagen während des Folgenden zeremoniell auf die Gehenkten ein. Töne wie bei einem Glockenspiel werden bei jedem Schlag dazu eingespielt.


Der Baum setzt sich wieder in Bewegung. Emma Bovari, das Herz immer noch in der Hand, spricht wiederum zu ihrem Herzen:


Warum warst du nie still?

Musstest immerzu schlagen?

Mich schlagen.


Wirft das Herz in Publikum.


Mich schlagen?

Musstest immerzu schlagen.

Warum warst du nie still?


A. u. K. spielen wieder mit den Schaumstoffklöppel mit dem Baum u. den Gehenkten, als sei’s ein großes Musikinstrument. Sie haben sichtlich Spaß daran u. rennen von einem zum anderen. Lachen u. schlagen, schlagen u. lachen.


Der Baum setzt sich wieder in Bewegung. Effi Briest, den Fisch immer noch in der Hand,

spricht wiederum zu ihrem Fisch:


Was erlaubtest du aus Rache über deine künstliche Wirklichkeit der Liebe nur eine lebendige Unmöglichkeit?


Wirft den Fisch ins Publikum.


Was erlaubtest du aus Rache über deine wirkliche Künstlichkeit der Liebe nur eine tödliche Möglichkeit?


A. u. K. spielen wieder mit den Schaumstoffklöppel mit dem Baum u. den Gehenkten, als sei’s ein großes Musikinstrument. Sie haben sichtlich Spaß daran u. rennen von einem zum anderen. Lachen u. schlagen, schlagen u. lachen.


Der Baum setzt sich wieder in Bewegung. Paulchen Panther, die Sanduhr immer noch in der Hand, spricht wiederum zu seiner Sanduhr:


Ist es schon so spät?


Wirft die Uhr ins Publikum.


Ist es wirklich schon zu spät?


A. u. K. spielen wieder mit den Schaumstoffklöppel mit dem Baum u. den Gehenkten, als sei’s ein großes Musikinstrument. Sie haben sichtlich Spaß daran u. rennen von einem zum anderen. Lachen u. schlagen, schlagen u. lachen.


Der Baum setzt sich wieder in Bewegung. James Bond, das leere Glas immer noch in der Hand, spricht wiederum zu seinem Glas:


Gestatten, Bond, James Bond, immerzu geschüttelt nie gerührt.


Wirft das Glas ins Publikum.


Du bist tot, kaum hab ich dich berührt.


A. u. K. spielen wieder mit den Schaumstoffklöppel mit dem Baum u. den Gehenkten, als sei’s ein großes Musikinstrument. Sie haben sichtlich Spaß daran u. rennen von einem zum anderen. Lachen u. schlagen, schlagen u. lachen.


Der Baum setzt sich wieder in Bewegung. Die Königskinder, die Wasserpistolen in den Händen, sprechen mit ihren Pistolen:


Nur weil du immer alles besser wissen musstest!


Werfen die Pistolen ins Publikum.


Nur weil du immer alles besser wissen musstest!


A. u. K. spielen wieder mit den Schaumstoffklöppel mit dem Baum u. den Gehenkten, als sei’s ein großes Musikinstrument. Sie haben sichtlich Spaß daran u. rennen von einem zum anderen. Lachen u. schlagen, schlagen u. lachen.


Der Baum setzt sich wieder in Bewegung. Romeo u. Julia, die Bilder der Eltern in der Hand. Julia spricht:


Meinst du etwa, hier ließe uns deine Mutter in Ruhe?


Sie werfen die Bilder ins Publikum.


Glaubst du etwa, hier ließe sie uns in Ruhe?


A. u. K. spielen wieder mit den Schaumstoffklöppel mit dem Baum u. den Gehenkten, als sei’s ein großes Musikinstrument. Sie haben sichtlich Spaß daran u. rennen von einem zum anderen. Lachen u. schlagen, schlagen u. lachen.


Der Baum setzt sich wieder in Bewegung. Biene Maja u. Willy, sie mit Dildo, er mit Schnapsflasche. Maja spricht:


U. außerdem warst du immer ein impotenter Sack!


Sie werfen Dildo u. Schnapsflasche ins Publikum.


U. außerdem hast du es mir nie besorgen können!


A. u. K. spielen wieder mit den Schaumstoffklöppel mit dem Baum u. den Gehenkten, als sei’s ein großes Musikinstrument. Sie haben sichtlich Spaß daran u. rennen von einem zum anderen. Lachen u. schlagen, schlagen u. lachen.


Der Baum setzt sich wieder in Bewegung. Popey u. Olivia, er mit „Schrot & Korn“, sie mit dem „Wachturm“. Sie:


Ich hasse Schlägertypen.


Sie werfen die beiden Hefte ins Publikum.


Ich hasse Typen.


A. u. K. spielen wieder mit den Schaumstoffklöppel mit dem Baum u. den Gehenkten, als sei’s ein großes Musikinstrument. Sie haben sichtlich Spaß daran u. rennen von einem zum anderen. Lachen u. schlagen, schlagen u. lachen.


A u. K verkleiden sich wie Kinder an Fasching als Cowboys. Mit Pistolen links u. rechts.

Sie malen sich gegenseitig mit einem Lippenstift auf die linke u. rechte Backen Herzchen.


A:

Ich kann’s nicht mehr hören.

Nur Ungelöstes.


K:

U. ich kann’s nicht mehr sehen.

Nur Eiseskälte.


A geht zu James Bond:

Du hättest den Alten umbringen sollen, u. die Alte glücklich machen.

Aber du warst nur ein Versager.


A schießt Bond vom Baum. Der kriecht von der Bühne.


A zu K:

Du bist dran.


K:

Kann’s kaum erwarten.


K geht zu Emma Bovari:

Du hättest zu mir kommen sollen.

Bist nicht gekommen.

Von wegen Sehnsucht.

Bist auch nur ein Hasenfuß.

Da mach ich’s mir lieber selbst.


K schießt Emma vom Baum. Die kriecht von der Bühne.


K, weinend:

Yeah,

ich bin ein Held.

U. nun du wieder, Bruderherz.


A:

Lass mein Herz in Ruhe. Davon verstehst du nichts, Kleiner.


A geht zu Effi:

Du gabst meinem Leben keinen Sinn.

Immer nur träumend daneben gesessen.

Immer nur deiner selbst gedacht.

Schlampe, billige.

Kuh, wehleidige.


A schießt Effi vom Baum. Sie kriecht von der Bühne.


K zu Paulchen Panther:

Deine Witze bringen mich nicht mehr zum Lachen.

Immerzu Wiederholungen.

U. nirgends ein Paulinchen.

U. an so was hab ich geglaubt.

So einem hatte ich geglaubt.


K schießt Paulchen Panther vom Baum. Der kriecht von der Bühne.


A u. K schlagen einander in die Hände.

A steckt sich u. K eine Kippe in den Mund.


A zu den Königskindern:

Drecksplagen.

Romantische Ungleichungen.

Zu blöd, die Brücke zu finden oder außenrum zu gehen.

Oder ein Boot zu leihen.

Uncool.

Sowas von uncool.


A schießt die beiden vom Baum. Sie kriechen von der Bühne.


K zu Maja u. Willi:

Mit euch wollte ich Kind bleiben.

Ihr hättet der Stachel meiner Liebe sein sollen.

Ihr ließet mich nur allein.

Ihr Karikaturen eines Schreies nach Liebe, der verboten wurde,

weil er mittels allergischer Reaktionen tötet.

Hopp, fliegt doch, wenn ihr könnt.


K schießt die beiden vom Baum. Sie kriechen davon.


A zu Popey u. Olivia:

Ihr beweist nichts.

Gar nichts beweist ihr.

Billige Fantasien einer Allgewalt.

Karikaturen meines Alten u meiner Alten.

Da, friss Eisen.


A schießt die beiden vom Baum. Sie kriechen von der Bühne.


A u. K spucken ihre Kippen auf den Boden. Klatschen einander in die Hände:

Gimme five.


A:

Es wird Zeit.


K:

Ok.

Musik ab.


Das Thema von „Spiel mir das Lied vom Tod“ wird eingespielt.


K nimmt A auf die Schultern. A nimmt einen der Stricke, die vom Baum hängen, u. bindet sich eine Schlinge um den Hals. Dann würgt er mit beiden Händen K.


Die Musik verstummt.


Der Baum setzt sich in Bewegung. Die beiden laufen mit.


A/K:

Nur weg.

In den Untergang der Liebe hinein.

Alles wird sich aufklären.


Langsamer Einzug des Lichts.