Sonntag, 30. Mai 2010

3. Szene


Abel (A) u. Kain (K) sitzen, beide einen altmodischen Joycestick in der Hand, im hinteren rechten Bereich der Bühne. Sie sitzen so, dass das Publikum beide Gesichter deutlich sehen kann.

Im vorderen linken Bereich der Bühne ist ein Feld als Screen markiert.

Im hinteren linken Bereich sitzt der Chor auf dem Bühnenboden u. summt während der Szene die Melodien von Gospelliedern.

Es tritt immer jeweils einer des Chores (Z) in das Feld, stellt sich kurz vor, ist dann das Ziel des Ballerspieles, das Abel u. Kain spielen. Ist er oder sie getroffen, verlässt er oder sie das Feld wie ein begossener Pudel u. reiht sich wieder in den Chor ein.

Die Joycesticks funktionieren nicht mehr einwandfrei, immer wieder muss einer der beiden seinem Stick einen Schlag versetzen u. ihn auf den Boden schmeißen, damit er funktioniert. Ebenso müssen sie – entnervt – immer wieder zu dem Feld vor u. die Markierung mit Kreide nachzeichnen oder korrigieren. Mitunter funktionieren auch die Chor-Mitglieder als Ziele nicht richtig. Dann begibt sich einer der beiden ins Feld u. gibt dem jeweiligen Ziel einen Arschtritt oder eine Maulschelle.


Z:

Bitte ergebenst ihr vielgeliebter Schullehrer sein zu dürfen.


K:

Halt die Fresse du versoffene Sau u. renn um dein Leben. Wir spielen hier nicht Bingo.


A:

Bingo

(lacht)


Beide klatschen einander in die Hände.

Beide ballern. Ihre Körper u. Bewegungen nehmen regen Anteil an dem Spiel, verbiegen sich u. verfolgen die Bewegungen von Z, kommentieren die Misserfolge u. Erfolge im Treffen. Ihr Redeton bleibt davon aber unberührt, außer wenn sie direkt Bezug auf Z nehmen.


K:

Sie wunderte sich, dass ich am ersten Tag nicht schrie.


A:

Ich schrie auch nicht.


K:

Du warst ja immer ein braver Bruder, klingt wie warmer Bruder.

Dabei stehst du im Zeichen der Kälte.


A:

Scheiße. Wieso rennt das Arsch so.


Z:

Bitte das entschuldigen zu dürfen. Das sind Zuckungen aufgrund eines reichlich begossenen Abends am Ende eines arbeitsreichen pädagogisch wertvollen Tages.


A/K:

Fresse.


A:

In der Kälte ertrug ich die Hitze seiner Schläge. Wenn er schrie, klammerte ich mich an meinen Tisch fest u. versuchte die Formeln zu lernen, die vor meinem Auge verschwammen, wie die Ordnung in der Wohnung nach wenigen Tagen schon zu verschwinden beliebt.


K:

Jetzt schwallst du schon wie der da

(Zeigt auf Z)


A:

Hätte ich einen Wahnsinn gehabt, wenn auch nur einen so kleinen wie der da, dann wäre ich schon froh gewesen; dann wäre da was gewesen, das mich umhüllt hätte u. isoliert.

Eine Sinnisolierung. Eine thermische Hülle der Regelgemäßheit. Der Vorhersehbarkeit.

Stets kam es unverhofft u. warf mich in ein Nichts der Lähmung.


K:

Dich?

Unentwegt mühtest u. plagtest du dich in fast biblischem Sinne.


A:

Spotte nicht unserem Schicksal.


K:

Schicksal.

Ach so.

Nur weil wir diese Zettelchen ausfüllten u. an den Wunschbaum hingen.

(lacht)

Was hast du noch mal geschrieben. Hab’s glatt verdrängt.


A:

Das verrät man doch nicht.

Hee, du Sau, ich hab dein Bein erwischt. Humple gefälligst.


Z humpelt.


K:

Ich kann’s dir sagen, was ich schrieb. In dicken Lettern schrieb.

Mit rotem Stift.

Als schriebe ich es mit einem abgeschnittenen Schwanz.


A:

Hast du keine andere Sprache?

Du bist wie er.


K:

Na und.

Ich bin sein Sohn.

U. außerdem.

Du bist auch wie er.


A:

Halt die Fresse. Ich bin besser als du u. er zusammen.

Ihr habt nur euren Schwanz im Kopf.


K:

Wo du dein Arschloch hast.


A:

Treffer.

Verschwinde.

Einsnull für mich.


Z verbeugt sich. Kriecht davon. Ein neues Chormitglied stellt sich in den markierten Raum.


Z:

Ich bin er, der er ist.

Oder so ähnlich.

Scheiß drauf.


A/K:

Fresse. Renn du Sau. Du wirst bluten.


A u. K klatschen einander in die Hände.


K:

Liebe schrieb ich auf das Zettelchen.

L-I-E-B-E

Das, was du mich nicht lehren konntest.

Nie legtest du dich wie ein Bruder zu mir ins Bett.

Nie schauten wir uns an u. flüsterten uns unsere Geheimnisse zu.

Immer waren wir nur das Geheimnis selbst.


A:

Von wegen Geheimnis.

Ich weiß ganz genau, was du tatest.

Du hast meine ...


K:

Olle Kamellen.

Was geht’s mich an, wenn sie nicht bei dir bleiben will.

Wahrscheinlich hatte sie schon Frostbeulen am Leib.

Weil du sie nicht anfasstest.


A:

Berühren heißt Wehtun. Das weißt du so gut wie ich.


K:

Nix da. Ich wollte berührt werden. Immerzu.

U. sie berührte mich.

Nein, sie berührte mich nicht,

sie fasste mich an,

wie man eine Schippe anfasst, will man ein großes Loch graben,

in das man das eigene Herz,

die eigene Seele legen will.


A:

Ja, töten wolltest du sie, wie du alles töten willst.

Wie du ...


K:

Halt’s Maul. Was weißt du schon.

Was nicht lebt, kann man auch nicht töten.

Außerdem wollen sie es ja.

Sie wollen doch bestraft sein.

Von wegen Bestätigung. Wie sie, wie Mutter.

Sie wollen getötet sein. Was weiß ich, was sie getan haben.

Ich bin ihr kleines Mittelchen zum Zweck.

Erst Bestätigung abholen, dann die Rache ausleben.

Nette Mittelchen, sag ich dir.

(zu Z)

Hee, du Sau, ich hab dir die Eier abgeschossen. Ich will was sehen.


Z greift sich zwischen die Beine u. läuft sehr gekünstelt so, als wäre er entsprechend verletzt.


K:

Mehr Ernst. Das ist schließlich ein Spiel.

(K geht ins Feld u. tritt Z in die Eier)

Siehst du. Geht doch.


A:

Immer wollte ich,

dass sie spricht,

dass sie spricht, wie eine Mutter zu sprechen hat.

Von dem Sinn u. so.

Von der Aufgabe u. so.

Von der Ordnung u. so.

U. sie?

Sie steckte ihre Finger in den Mund u. riss sich die Lippen auseinander u. versuchte zu schreien. Doch noch der Schrei blieb stumm.




K:

Ich sah dich oft mit ihr. Immerzu tuscheltet ihr.
Immerzu fordertest du Trost bei ihr ein.

Memme.

Muttersöhnchen.

Ich schloss mein Zimmer ab u. lebte ein Leben in einer anderen Welt.

Weit unter dem Meeresspiegel. Die Fische redeten mit mir wie Wasserfälle,

wie (lacht)

die Wasserfälle, die diese Meere fütterten.

Yami Yami liebes Meer,

friss dich satt

komm friss dich satt.

Ich mach dich satt.

(Ballert wie wild auf Z)


A:

Heee, ich bin dran.


K:

Fresse.

(zielt auf K)

Sonst.


A:

Was?

Sonst?

Hosenscheißer.


K:

Haben wir eine eigene Sprache gefunden?

Sag!

Haben wir das?

Auch wenn du nicht in meinem Bett lagst.

Ich hab dich doch flüstern gehört.

Aus deinem Bett heraus, das so weit entfernt stand.

Aus deinem Zimmer heraus, das hinter so dicken Wänden lag.

Wenn ich es mir unter der Decke machte,

hörte ich doch deine Stimme.

Eine andere Sprache.

Die rührte u. doch nicht raubte.

Die nicht kickte u. sich dann aus dem Staub machte,

sondern wuchs wie ein Schmetterling in seinem Kokon.


A:

Du Drecksau, hab ich dich.

Zweinull.

Loser.


Z verbeugt sich. Ein neues Chormitglied kommt auf die Bühne.


Z:

Mit Verlaub, man heißt mich die Liebe u. man muss sanft mit mir sein.


A/K:

Halt’s Maul. Wie du uns, so wir dir.

Friss Eisen.


A:

Nicht habe ich gesprochen in meinem Bett.

Nichts sprach ich hinter meiner Wand.

Ich lag da

u. zählte die Flecken an der Decke, bis sie sich bewegten

u. zu leuchten begannen.

Einer leuchtete wie ein kleines Mädchen.

Ein anderer lachte wie ein reines Herz.

Einer verwandelte sich in ein Häkchen, das abhakte,

was ich tat. U. ich wusste, da war kein Fehler nicht.


K:

Kitsch.

Nichts als Kitsch. Warum sind die Kalten nichts als kitschig.

Der Fluss auf dem kitschigen Bild fließt nicht. Er ist gefrorenes Blau.

Ausgelaufener u. wieder eingefrorener Blaukrautsaft.

Taute er auf, stänke es vergoren.


A:

Ha, die Füße. Ich hab die Füße weggeschossen.


Z geht in Zeitlupe in die Knie u. läuft auf den Knien weiter. Sie gibt keinen Ton von sich.


A/K:

Jetzt kannst du nicht mehr davon laufen.



K:

Guter Schuss.

R-E-S-P-E-C-T

Gimme five.


A u. K klatschen einander in die Hände.


A:

Wärest du doch in mein Zimmer gekommen. Meine Tür war nicht verriegelt.

So wie deine.


K:

Meine Tür stand offen.

Vergiss das nicht.


A/K:

Wer uns finden will,

muss sich schon die Mühe machen,

uns zu suchen.


Z kann sich das Lachen nicht verkneifen.


A/K:

Fresse, du Schlampe.

Verwichste Heuchlerin.

Unterbezahlte Nutte.

Wir werden dir Beine machen.

(Beide ballern wie wild auf sie ein)


Z lacht nur. Steht still. Dann tut sie wieder sehr gekünstelt so, als ob sie doch mitspiele u. verrenkt sich ein bisschen, als wiche sie dem Kugelhagel aus.


A:

U. warum hast du mich ...


K:

Du standest im Weg.

Du standest mir im Weg.

Ich wollte durch die Tür.


A:

Wohin?


K:

Na zu dir, du Idiot.


A:

Aber ich war doch ...


K:

Komm mir jetzt nicht mit so einem Kleinscheiß.

Du standest im Weg u. damit basta.

Warum konntest du auch nicht aufhören, mich zu nerven.

Wie die Kuh da.

Poff.

Treffer.

Zweieins.


Z verbeugt sich. Ein neues Chormitglied stellt sich ins Feld. Es sagt nichts.


A:

Wer bist du?

Mach’s Maul auf.


Z:

Ich bin euer Leben u. ihr hießet mich schweigen.


A/K:

So ein Arsch. Dich werden wir schon zum Reden bringen.


A u. K klatschen einander in die Hände.


A:

Weil du’s stets besser hattest.

Dir wurde doch alles ins Maul geschissen.


K:

Ach nee.


A:

Warum warst du denn so fett?

He?

Vom Maulaffenfeilhalten etwa?

Vom ewigen aus dem Fenster gaffen, ging ich außer Haus.

He?

Vom insgeheimen Grinsen, schlug er mich,

jammerte sie mir die Hucke voll.

He?

Du standest ja noch belämmerter da als ich.

Du standest da wie ein Flipper, der getiltet wurde.

Auf den man nur noch draufhauen kann,

wie auf diesen Scheiß hier

(Schmeißt den Joycestick auf den Boden, kickt ihn von der Bühne)

Scheiße

(Steht auf u. bittet einen aus dem Publikum, ihm den Joycestick zurück zu geben. Hat er ihn, setzt er sich wieder auf seinen Platz.)

Scheißding

(ballert)

Treffer.

Dreieins.


Z geht aus dem Feld.


K:

Das war mein Leben.


A:

Fresse.


K steht auf. A steht auch auf. Beide ballern nun aufeinander.

K zieht A ins Feld.

Beide kämpfen.

Dann liegen beide auf dem Boden.

Legen sich nebeneinander.


A:

Warum hast du es nicht früher getan?


K:

Ich hatte ja keine Ahnung.

Ich kam nicht los von dir.

Warst meine Droge.

Kindheitsdroge.

Stets zu wenig da.

(lacht)


A:

Dasein bedeutete verhauen zu werden.

Oder berühren sollen.

Berühren ist Wehtun.


K:

Du u. deine Maximen.

Axiome.

Ich fasste sie gerne an.

Nie so gelacht als in dem Moment, als ich dich ...


A:

Sei still.


K:

Rede ich denn?

Laufe ich nicht je nur gegen die Wand,

stumm u. hilflos wie ein Vogel,

der sich am Morgen ins Zimmer verirrt u. keinen Ausgang mehr findet u.

die Tische vollscheißt.


A:

Außer der Angst war nichts da.


K:

Wovor?


A:

Vor dir.


K:

Die war berechtigt. Jetzt weißt du’s ja.

Jetzt brauchst du also keine Angst mehr zu haben.


Der Chor summt nicht mehr, sondern singt „o happy day“


A:

Also gibst du’s zu.

Viereins.

Ich hab gewonnen.


K:

Deshalb wird niemand mehr mir etwas Böses tun dürfen.


A:

Aber was Gutes.

Wir kriegen dich.

Du hast verloren.


K:

Ach, leck mich.


Der Chor springt auf u. läuft ekstatisch über die Bühne.


Dann Licht aus.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen