Sonntag, 30. Mai 2010

4. Szene

Auf der Bühne eine Badewanne aus Plexiglas, darin in klarem Wasser Abel (A) u. Kain (K). Der Frauenchor (C) trägt Badekleider. Jede hat eine Bürste oder einen Schwamm in der Hand. Während der Szene kommen immer wieder eine oder mehrere aus dem Chor an die Badewanne heran u. versuchen Abel oder Kain zu waschen. Manchmal steigen sie dazu auch in die Wanne. Abel u. Kain versuchen sie stets zu verscheuchen, besonders wenn sie ihnen gefährlich nah zwischen die Beine langen.


K:

Ich will sie alle haben.

Sie sollen es mir alle machen.

(zu C)

Weg da. Hau ab.


A altklug u. lehrerhaft:

Weil du glaubst, du verdienst keine ...

(zu C)

Lass mich in Ruhe

(zu K)

... Liebe.

Nur ein Rumgemache.

Rumgetue.

Zeitvertreib.

Seelenkehraus.

Dreckskerl.

Wie dreckig du bist. Das Wasser mutiert zum Schlammloch,

du invertierte Evolution.


K:

Mein Herz schießt vor Liebe Feuerwerke auf meine Haut.


A:

Schorfkrätzepickeleiterausschlagneurodermitisausgeburt.

(zu C)

Jetzt hör aber auf.

Mensch.

(zu sich)

Ich laufe leer u. alles färbt sich rot,

die Wanne wird überlaufen,

in die Welt laufen,

u. alle Welt wird rot sein

wie ein gänzlich fehlerhaftes Diktat.

(zu K)

Du verdienst es nicht mal, dass man es dich dir selbst machen lässt.

Meinst du, ich wüsste nicht,

was du tust.

Das Wasser klebt schon auf der Haut u. im Haar

u. die Poren können nicht mehr atmen

u. meine Innereien haben Asthma.

(zu sich)

Mein Gedärm atmet wie Karpfen hinter Glas

u. schreit Luftblasen in mein Denken,

deren Zerplatzen mich taub werden lässt.

(zu C)

Nachtigall ick hör dir trapsen.

Da nimm.

(spritzt C Wasser ins Gesicht)

(zu K)

Niemand soll erfahren,

dass du nur dich liebst.

Ja, du liebst:

dich.

Dass du dich brauchst.

(zu sich)

wie ich mich.

Immer das Gefühl, er sei ein Spiegel.

Ich könnt reinschlagen, damit das Glas klar würde

u. sauber wie die Nerven in meinem Augen einst waren,

bevor ich sie öffnen musste.

(zu K)

Wie sehr du dich dafür hasst.

Brüderchen.

Du hasstest dich umso mehr,

je mehr sie wüssten, dass du dich liebst,

dass du liebst

(will K einen Kuss geben, der tritt ihn vor die Brust, dass er zurück in die Wanne knallt u. das Wasser auf den Bühneboden spritzt)

Damit stehst du schutzlos da.

Du hast verloren.

(zu C)

Nimm das. (haut ihr auf den Arsch)

(zu K)

Lucia liebtest du nicht.

(zu sich)

Sie war mein.

(zu K u. zum Publikum)

Sie war niemandes Frau.

Rein u. unabhängig.


K:

Die dumme Kuh.

(zu sich)

Was sie alles wusste.

(zum Publikum)

Keine konnte ihr das Wasser reichen.

(zu A)

Strunzhohl war die.

Ehrlich gesagt …

(zu C)

Fass das nicht an.

Wenn du es berührst, ersäuf ich dich,

du Kakerlake

(zu A)

also ehrlich gesagt,

muss mir niemand die Welt erklären.

Wenn ich das schon höre

(zum Publikum)

Ihre Stimme reinigte meine Haut durch Schauder des Schönen.

(zu A)

Hör auf, das Wasser anzuschauen.

Es ist völlig dreckig von dir.

Du läufst aus.

Du leckst,

Brüderchen.

Du bist nicht ganz dicht.

Jetzt gehst du, dank mir, mal aus dir heraus,

du wolltest es ja nicht glauben,

dass ich dich bluten lassen werde,

du sollst bluten dafür.

Es ist alles deine Schuld,

ich bin rein

(drei C stürmen auf ihn los u. attackieren ihn mit den Bürsten)

Weg da, ihr Geschmeiß,

dumme Saubande,

hirnloses Volk,

Fotzen.

(zu A)

Wo war ich?

(zu sich)

Wo bin ich denn? Im Wasser bin ich sicher vor dem Staub der Welt,

nichts als Staub,

Tod u. Lieblosigkeit

u. Spuren eines Lebens, das nicht mir gehört.

(zu A)

Ach so,

wenn ich das schon höre

(zu C)

Steck dem den Schwamm in den Schädel,

Schwamm zu Schwamm

(zu sich)

u. Staub zu Staub.

Ich will ihr Scheißleben nicht,

bin kein Staubtier,

bin Wassertier,

Korallenhände u. Algenaugen,

Fischschwarmworte u. liebeslustgesalzen.

(zu A)

Wenn ich das also schon höre:

Lieber Kain.

Ich hätte kotzen können

(zu C)

Zisch ab, du frigide, vertrocknete Sau,

das hier ist nichts für dich.

(zu A)

so kompliziert ist die Welt nicht,

hätte sie mir nicht sagen können,

was sie fühlt

oder was ich fühle

oder warum ich fühle, was ich fühle

oder warum ich nichts fühle, wenn ich etwas fühle

oder warum ich Schmerz fühle muss, wenn ich fühle, dass ich nichts fühle, u. das nicht mehr fühlen mag,

oder warum ich lediglich die Welt erklären kann,

lieber Adel.

Hee.

LIEBER ADEL


A schabt an seiner Haut rum u. in seinem Gesicht, scheuert sich mit den Händen die Haut ganz rot.


A:

Da ist nichts

(zu sich)

Alles ist voll.

Ich werde darin ertrinken.

Es steht mir bis Oberkante Unterlippe

(zu C)

Das hier auch.

Ich kann dir gar nicht sagen, wo mir das steht.

Siehst du nicht, dass ich sauber bin,

blütenrein

aprilfrisch

weißer als weiß

(zu K)

Hä?

Was?

Las mich in Ruhe.

Such dir ne eigene Wanne.

Hast mal wieder kein Geld.

Idiot.

Alles verfickt.

Findest ja keine.

Dumme Sau.

Armes blindes Huhn


K:

Kein Wort davon.

Das hat sie nicht getan.

Ich sehe dich. Du sitzt da u. bist

über u. über verdreckt,

(zu sich)

Lebensabsenzdreck

(zu A)

Du hast dir ja nicht die Hände an ihr schmutzig machen wollen,

höchstens durch dein ewiges, ewig peinliches Auf-den-Hände-tragen

Kein Wunder,

dass sie zu mir kam,

ich tat ihr andres mit meinen Händen


A:

U. sie dir auch


K:

U. ich dir auch.


A:

Schweig still

(zu sich)

Sie lächelte, als sie es tat.

(zum Publikum)

Sie lachte, als sie es tat,

u. der Rotebeetesaft sprang fontänengleich

aus seinem Gesicht.

Zwei Fontänen der Liebe,

die nicht zueinander kommen konnten.

Jeder fiel für sich auf die Erde herunter

u. verlief sich im Sand,

darin Kinder sprangen,

weil es so schön matschig war.


K:

Halt doch die Fresse.

Alles ist in bester Ordnung.

(zu C)

Ich schieb dir deine Büste gleich in den Arsch,

dass sie dir zum Hals heraus kommt

(zu A)

Nichts ist passiert.

Nichtsnichtsnichtsnichtsnichts.

(zu sich)

ja zuvor,

das ist das Schlimme,

dass da nichts war,

das geschah,

nur die grenzenlose Ein ...

(zu C)

gehst du wohl

(zu sich)

... samkeit,

die nun an mir klebt

wie Harz

u. alle Regenbogenblätter kleben daran fest

u. jeder glaubt, ich sei ein Paradiesvogel.

Dabei zerfrisst er mir das Fleisch,

dabei bohrt sich diese Scheißeinsamkeit

ins Hirn wie ein göttlicher Lobotomiebohrer

(lacht)

(zu A)

wie du da


A:

Was?

Wie?

Wer?

Du fantasierst.

(zu sich)

u. ich auch,

mit dem offenen Kopf ist schlecht mehr durch die Wand zu kommen.

Ich bleib einfach hier sitzen.

Tut er ja auch.

Also scheint’s normal zu sein

die

(auf C zeigend)

sagen sowieso nichts

(zu C)

Nicht wahr

(zieht C an der Bürste ins Wasser)

Jetzt zeig ich dir mal mein Auf-den-Händen-tragen

(C schreit, zappelt, schlägt A mit der Bürste auf den Kopf u. befreit sich u. steigt wieder aus der Wanne)


K:

Sie war es.

Ich hab es deutlich gesehen.

Sie war es.

Sie war das

(zu sich)

ich fühle keine Schuld mehr,

wie ich nichts mehr fühle,

wie da nur noch eine Schwelle ist u. nichts dahinter


A:

Was war sie?

Nichts war sie.

Nichts war.

Alles ist in bester Ordnung.

U. das mit den Augen,

mei,

so was wächst doch nach

(lacht)

(zu sich)

der glaubt’s womöglich noch.

Hat mir immer alles geglaubt.

Leichter wie der da ist niemand zu verarschen

(zum Publikum)

dem könnt ihr alles erzählen,

der glaubt’s sogar, wenn ihr sagt,

ihn würden alle anklotzen

u. alle würden darauf warten,

dass sich endlich was tue.

(lacht)

(zu sich)

alles Idioten.

Können nicht eins u. eins zusammen zählen.

Ich kann es.

Also kann’s so schlimm nicht sein.

Ich fühle ja auch nichts.

Wahrscheinlich ist wirklich alles in Ordnung.

Dem sein Geschwätz.

(zu K)

Du hast dir die auch doch nur angemalt,

damit alle Mitleid mit dir haben.

Arme Sau.

Mitleid.

Hascherl.

Nesthäkchenimitator.

Eideidei.

Putziputzi.

MiezMiez.


K:

Es brennt so fürchterlich

(taucht unter)


A:

Eeeeh

du Sau


C kommt gerannt u. zieht K am Schopf den Kopf wieder aus dem Wasser u. haut weinend ein paar Mal mit der Bürste drauf


K:

Weg da.

Arschgesicht.

Rosettenfresse.


A:

Betört habest du sie mit deinem Wort.

Man hört es ja.


K:

Mit dem Geruch meiner Seele

(zum Publikum)

Eher mit der Pflichterfüllung meines Schwanzes.

(zu sich)

Betört.

Hörte sie mich überhaupt als ich ihr den Finger

in den Arsch bohrte u. sie schrie

nie werde sie mich verlassen.

U. dann,

als ich Milch kaufen wollte,

krallte sie sich meinen Kopf

u. grub ihre Finger in ...

Nicht mehr weinen kann ich,

blutige Bäche laufen wie Ameisenheere durch mein Gesicht

u. fressen mir das Fleisch von den Rippen.

Ich bin toter als der da.


A:

Was sagtest du?

Ich hörte einen Laut, wie wenn man einem Tier den Hals ganz herumdreht

so einen Laut

man nimmt es unter den Arm

tätschelt es

als wolle man mit ihm spielen

u. dann

ratz

fatz

fertig

Herr Rettich


K:

Du bist schuld.


A:

Du bist schuld.


A u. K zueinander:

Schuld u. Scham klebt an dir von Kopf bis Fuß.

Kommt u. wascht die Sau sauber

(beide tauchen unter, alle C kommen gerannt u. ziehen die beiden am Schopf den Kopf wieder über Wasser u. schlagen weinend mit den Bürsten auf die Köpfe ein)


A u. K zueinander:

Das ist meine Wanne.

Das ist meine Seele.

Das ist mein Herz.

Das ist mein Schwanz.

Das ist meine Liebe.

Dir gehört nichts.

Elendiger Hundsfott

Dreckiger Kadaver.


Beide fallen sich in die Arme.

Liebkosen sich

flüstern liebevoll:


Stinkende Leiche

krötenschleimige Verwesung

rattenzerfressenes Aas

Brüderchen.

Ich hab dich doch ganz ...


Beide stoßen sich voneinander ab.


A u. K zueinander:

Ich bring dich vor’s Gericht.

Du warst es


K (zum Publikum):

Er hat sie vertrieben.

Sie hat mich mit ihm verwechselt.

Deshalb tat sie’s.

Sie wollte ihm die ...


A (zum Publikum)

Er war’s.

Er hat es getan.

Mit dem Gürtel.

Mit der Schnalle


K:

Ja, eine Schnalle war sie


A:

War sie nicht.


K:

Doch!


A:

Nein!


Unter immer lauterem Doch/Nein-Sagen stehen beide auf, steigen aus der Wanne, treiben mit Gesten den Chor von der Bühne u. gehen dann selbst ab.


Man hört das Geräusch, die eine Gürtelschnalle erzeugt, wenn damit ein Schädel eingeschlagen wird.


Man hört das Geräusch, das zwei Hände erzeugen, wenn sie zwei Augen aus ihren Höhlen heraus reißen.


Der Chor kommt zurück, steigt unter Lachen in die Wanne u. alle Mitglieder bespritzen sich ausgelassen mit Wasser u. singen:


1. Danke für diesen guten Morgen, / danke für jeden neuen Tag. /
Danke, dass ich all meine Sorgen / auf dich werfen mag.

2. Danke für alle guten Freunde, / danke, o Herr, für jedermann. /
Danke, wenn auch dem größten Feinde / ich verzeihen kann.

3. Danke für meine Arbeitsstelle, / danke für jedes kleine Glück. /
Danke für alles, Frohe, Helle / und für die Musik.

4. Danke für manche Traurigkeiten, / danke für jedes gute Wort. /
Danke, dass deine Hand mich leiten / will an jedem Ort.

5. Danke, dass ich dein Wort verstehe, / danke, dass deinen Geist du gibst. /
Danke, dass in der Fern und Nähe / du die Menschen liebst.

6. Danke, dein Heil kennt keine Schranken, / danke, ich halt mich fest daran. /
Danke, ach Herr, ich will dir danken, / dass ich danken kann.



Licht aus.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen