Sonntag, 30. Mai 2010

8. Szene

Abel (A) u. Kain (K) auf der Bühne. A gruppiert – stets neu – Pappkameraden mit den Gesichtern von Abel, Kain, Lucia, Sister Judge u. dem Geist Adams. K attackiert die Pappkameraden mit einem Schwert, bis zum Ende der Szene wird er sie peu à peu zerschlitzt haben. A u. K tragen lediglich enge Shorts u. ihre Körper sind eingeölt. Auch A ist im Besitz eines Schwertes. A versucht die Pappkameraden gegen K zu verteidigen. Aber meistenteils kämpfen die beiden nicht gegeneinander sondern gegen imaginäre Feinde.


A:

Dieser Sommer ist kein Sommer.





K:

Ich erinnere mich an einen Sommer, da zog die Familie ins Feld u. schlug das Gras u. rollte das Heu zu Hünen auf u. legte Kartoffel in die Glut der Feuer.


A:

Diese Familie war keine Familie.


K:

Ich erinnere mich an die Sonntage um den Tisch herum. Der Alte erzählte von Früher u. dass nichts mehr so sei, wie es war. U. dass die alten Zeiten nicht wiederkommen dürften. U. er verwechselte unsere Namen. U. Mutter träumte sich in ein anderes Leben, das sie sich partout nicht ausmalen konnte.


A:

Scheiß biblische Namen. Diese Namen sind keine Namen. Diese Namen sind Programm. Er wusste ganz genau, was er uns antat.


K:

Ich erinnere mich, diese Namen waren billig u. sein Geiz legendär. Erst als Gespenst wollte er nicht mehr von mir lassen.


A:

Ich studierte die Angebote u. sah, er war schwach in seinem Bestreben.


K:

Er hieß uns was Besonderes.


A:

Was Besonderes wie ein Ei im Sonderangebot. Hätte er nicht an uns sparen können. Hätte er sich nicht uns ersparen können. Dieser Mann war kein Mann.


K:

Ich erinnere mich, er trug dich auf seinen Schultern u. du saßest ihm wie ein Schalk, der seinen Witz verloren hatte, in seinem Nacken. Du dirigiertest ihn, aber gerietst nur in Rage.




A:

Diese Rage war keine Rage. Ich suchte in den Anzeigen der Angebote nach der Erlösung. Die Ersparnis statuierte sich vor mir als Lebensmaxime. Die Moral murmelte ein ewiges Erinnern als Deckblatt ungelebten Lebens.


K (kämpft gegen A):

Du warst wie er. Du bist wie er. Eine elende Puppe mit ewigem Gesicht.


A (weicht aus):

Du kannst es nicht lassen. Dabei ist dieser Sommer kein Sommer u. nichts ist, wie es sein sollte. Der Regen, der hätte kommen sollen, kam nicht u. das Land, das hätte üppig werden sollen, liegt brach. In den Pandekten der Billiganbieter fand ich keinen Rat u. die seinen waren nicht zu gebrauchen.


K:

Ich wälzte mich im Dreck u. ich beschmutzte mich mit Meinesgleichen. Nichts war hier billig, aber alles schon bankrott. Die Göttin Insolventia nistete sich in meinem zentralen Nervensystem ein (versucht die Figur Ls zu attackieren, A verteidigt sie. Die Figur erhält einige Blessuren). Aus ihrer Fotze träufelte pure Säure u. brachte meinen Herzrhythmus aus dem Takt. Die Stelle meines Geschlechtes nahm der glatzköpfige fette, zahnstocherschwänzige Gott Impotentius ein, der schneller schoss als eine Äonendämmerung. Wir krochen die Gänge der Ungeziefer hinab. Die Scham der beiden trieb mich an. Sie schämten sich wie alle Götter vor den Menschen.


A:

Dieser Götter waren keine Götter, in den Foren der Vorvorwahlanbieter fand ich bessere. Sie erlaubten eine größere Redezeit u. stahlen mir nicht das letzte Hemd, das er mir verweigert hatte. Die seinigen wollte ich nicht tragen. Sie (zeigt auf L) war keine Göttin, du übertreibst u. dramatisierst in deiner Verschwendungssucht wie je, sie war der Engel der Sparsamkeit, sie ersparte mir die Verschwendung meiner Lust.


K:

Diese Lust war keine Lust, wie ihr (attackiert SJs Figur) Richterspruch kein Richterspruch war.


A:

Die Verneinung obliegt mir.


K, nach A mit dem Schwert schlagend:

Da nimm.


A:

Du kämpfst wie ein Besoffener. Nicht geübt in den kostenlosen Rooms der Spiele, wo gut u. böse noch etwas gelten.


K:

Wo ich das Kämpfen lernte, hatte man längst alle Kämpfe überstanden. Der Kampf waren die Nachwehen u. die Nebenwirkungen eines schon immer verlorenen Lebens, das den Einsatz gleichgültig hatte werden lassen. Wir kämpften mit allem, weil wir alles schon verloren hatten.


A:

Du übertreibst u. dramatisierst lediglich, was du mir angetan hast.


K:

Ich war es nicht. (Zerfetzt SJs Figur).

Scheiß biblische Namen. Scheiß Geschichte. Es gibt keine Geschichte. Nie taten wir etwas anderes als hier zu stehen u. du verteidigtest deine Pappkameraden.


A:

In den hell erleuchteten Gängen der virtuellen Supermärkte fand ich Glanz u. Glorie einer preisgünstigen Maschinerie, die Sinn ins Chaos schlägt.


K:

Meine Fresse, wo hast du das denn gelesen.

(beiseite)

Dérisoire il est – ich meine, äh, ich bin, äh, scheiße, nimmer er, der alte Rabe – dans l’énormité des formes, des forces – jajaja – une misère il est – ichichich – il sait ce qu’il est – ichichich – mais centre il se sait, aussumant le centre – jajaja (schlägt mit dem Schwert auf seinen eigenen Rücken)

(zum Publikum)

Ich hielt mich an den Rändern auf, wo das Leben nicht zu bezahlen ist, weil jede Kreditkarte auf dem Weg dorthin abzuliefern ist; weil jede Anstellung u. Bestallung hier aufgehoben werden. Hier gibt es nichts zu tun, außer dem Leben ins Angesicht zu schauen u. zu warten, ob es dich anspringt u. dir die Kehle durchbeißt. Du hoffst darauf, damit es dir die Panik aus der Gurgel heraus frisst u. dir endlich wieder Luft verschafft, um in einem letzten Röcheln endlich sagen zu können, wer du bist.

(zu A)

Du erspartest dir das Leben.


A:

Ach nee. Plötzlich soll ich es wohl noch selbst gewesen sein. Wie du alles verschwendetest, verschwendetest du auch mich. Warum verschwandest du nicht? Du hättest nie gewesen sein dürfen.


K:

Ohne dich hätte ich nicht getan, was hatte getan werden müssen.


A:

Nein, er trägt alle Schuld (hält K GAs Figur hin, verteidigt sie zwar anstandshalber aber ohne Wirkung. K zerfetzt sie mit Hieben, die wie Streicheleinheiten ausgeführt werden).


K:

Ihre Abwesenheit war Schuld. Selbst als Figur ist sie nicht anwesend.


A:

Sie war immer da. Ich trage sie in meiner Brust.


K:

Dann gib sie her, du Schwein. Ich schneide sie dir heraus u. fresse sie in mich hinein, wie ich den Fraß aller Buden in mich hineinschlang, dass das heiße Öl meinen Durst stille, den sie sich geweigert hatte zu stillen.


A:

Idiot.

(beiseite)

Auch meine Brust ist leer. Darin ist nur was, das zählt die Schläge, die nicht schlagen wollen u. doch entsetzlich schmerzen.

(zum Publikum)

Das Herz in meiner Brust ersteigerte ich zu einem günstigen Preis. Seine Garantie verspricht Unendlichkeit. Damit parierte ich seinen (auf K zeigend) Schlag, an dem er noch heute abbezahlt. Der Idiot. U. die öffnete ihm dennoch ihre Beine (hält K Ls Figur hin, der sie mit fickenden Schwertschlägen zerfetzt)


K:

Sie hatte eh nichts zu sagen.


A:

Das ist war. Im Grunde war sie dämlich. Aber was soll’s. Sie hatte das Gesicht eines Engels. Solche Gesichter hatten wir nicht.


K:

Hatten wir Gesichter. (Nimmt As u. Ks Figuren u. hält sie A hin).

Tu, was zu tun ist, um sie zu verteidigen.


A zersticht mit seinem Schwert die Gesichter der beiden Figuren.


A:

Jetzt schaust du dir ähnlich.


K:

Du dir auch.


Beide lachen.


A/K:

Die können uns alle mal.


A tanzt mit As Figur, K mit Ks Figur.

Dann werfen beide die Figuren in die Luft u. zerfetzen sie mit ihren Schwertern.


K:

Könntest du die Schwerter nicht verkaufen?


A:

Ich schick sie deinen alten Freunden.


Beide lachen.


A:

Im Grunde bist du damals gestorben.


K:

U. du hast niemals gelebt.


Beide lachen. Tanzen miteinander.


A:

Das ist makaber.


K:

So sind wir zumindest das.


Beide räumen die Bühne leer.


K:

So waren wir nie ohne einander.


A:

Weil wir nie wirklich waren.


K:

Das ist billig.


A:

Ich weiß. Ich bin billig.


K:

Ich weiß. Deshalb konnte ich nicht von dir lassen.


A:

U. hast mich trotzdem nie gefunden.


K:

Du mich auch.


A u. K ziehen sich aus u. stellen sich nackt an den Bühnenrand. Das Lied „brother, where are you“ von Oskar Brown Jr. wird eingespielt. Mitunter vermeint man, dass A u K einige Textpassagen mitsingen. Aber man weiß es nicht so genau.


Brother, where are you?
Brother, where are you?
Where oh where are you?
Brother, where are you?
Brother, where are you?
Where oh where are you?

A small boy walked down a city street
And hope was in his eyes
As he searched the faces of the people he'd meet
Or one he could recognize

Brother, where are you?
They told me that you came this way
Brother, where are you?
They said you came this way

Brother, where are you?
Brother, where are you?

The eyes of the people who passed him by
Were cold and hard as stone
The small boy whimpered and began to cry
Because he was all alone

Brother, where are you?
They told me that you came this way
Brother, where are you?
They said you came this way

Where are you?
Brother, where are you?
Don't you know I need you now

Where are you?

Now there are many
Who will swear it's true
That brother all we are
And yet it seems there are very few
Who will answer a brother's call
Oh brother, where are you?
They told me that you came this way
Brother, where are you?
They said you came this way

Where are you?
Where are you?
Brother, where are you?
Oh brother
Brother, where are you?
Where are you?
Brother, where are you?
Brother, where are you?
Where are you?


K:

U. wer war jetzt der Täter?


A:

Egal. Tot ist tot.


K:

Tot?


A:

Tot!


Beide rennen lachend von der Bühne.


Licht aus.


©Klaus Peter Buchheit

Augsburg 2007

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